Annes Sicht
         Betreuung als Chance
Ich glaube, es war gut, dass ich Frau Geller bekam, bevor ich die ganzen Vorurteile über gesetzliche Betreuer kannte. Sonst hätte ich vielleicht garnicht zugestimmt. Bei meinem ersten Klinikaufenthalt wurde ich gefragt, ob ich das möchte, sie würden es für eine gute Idee halten. Und ich sage bis heute: Es war eine prima Idee.

Bevor ich in die Klinik kam, war ich gerade obdachlos geworden. Der Freund meiner Mutter hatte mich nach dem tausendsten Krach daheim rausgeworfen. Ich hatte Depressionen, lag in einer billigen Absteige in einem mini Zimmer rum, in das mich das Ordnungsamt eingewiesen hatte, und hatte versucht, mich einweisen zu lassen. Ohne Erfolg. Kein Arzt nahm mich ernst. Bis ich es ernst meinte, und mein Leben beenden wollte. Das war kein Hilferuf. Ich wollte nicht mehr.

Wollte nicht mehr auf der Straße um Geld betteln, um mir was zu essen zu kaufen, wollte nicht mehr mit tausend Männer flirten, damit sie mir den Abend finanzierten, wollte nicht mehr einsam sein, wollte nicht mehr versuchen zu arbeiten, was ich ja doch nicht schaffte.

Ich bekam damals zwar Ausbildungsvergütung, aber die reichte erstens hinten und vorne nicht und zweitens war sie nach 3 Tagen sowieso alle. Was ich mit dem ganzen Geld machte, wusste ich hinterher noch nicht mal. Hatte keine Vorräte gekauft, hatte keine Zigaretten, hatte nichts zu trinken. Mit Glück hatte ich vielleicht eins zwei Oberteile gekauft. Die Prepaidkarte war sowieso schneller leer, als ich  schauen konnte, weil ich ja irgendwie noch Kontakt zu meinen Freunden halten wollte. Ich war total verschuldet, weil ich Handyverträge abgeschlossen und den Überblick über die Telefonkosten verloren hatte. Außerdem hatte einer meiner Exfreunde Internetbetrug auf meinen Namen gemacht und ich hatte die Anwaltskosten, um mich da wieder rauszuwinden.

Bevor es zum großen Krach daheim kam, hatte ich versucht, auf Ämtern Gelder zu bekommen um auszuziehen, wurde dort aber immer nur abgewimmelt.

Das einzige, was mir am Leben noch Spaß machte, waren die Wochenenden, die ich im Vollsuff oder im Drogenrausch verbrachte. Einfach wegbeamen und endlich mal glücklich sein, war die Devise.

Jetzt nahm man mich ernst. Im Rettungswagen liegend und in eine Brechschale spuckend. 120 Tabletten brauchen lande, bis sie draußen sind. Ich wurde postwendend nach dem Krankenhaus in die nächste Klinik eingewiesen. Dort kam ich mir ernstmal verstanden vor und langsam ging es mir auch wieder besser. Sogar einen Freund habe ich gefunden! Okay, er war 17 Jahre älter, aber wen interessierte das schon? Doch meine zugegebenermaßen etwas unkonventionelle Art, stieß auch hier auf Granit. Die Ärzte und Schwestern interessierte es sehr wohl, dass ich einen Partner gefunden hatte. Sie waren garnicht einverstanden und begannen, mich unter Druck zu setzen. Keine gute Idee bei mir. Bei Druck mache ich dicht.Sie meinten wohl, mit ein wenig Druck wäre mein Bereich im Zimmer ordentlicher, würde ich nicht mehr verschlafen und pünktlich zu den Therapien erscheinen. Ein Hinweis von mir, sie könnten ja mal nach ADS von mir schauen blieb ungehört.

Übrigens: ich hatte schnell herausgefunden, dass meine abendliche Schlaftablette in Kombination mit Koffein eine äußerst berauschende Wirkung hatte. Das merkte aber keiner, zumindest bin ich nie darauf angesprochen worden. Dennoch – mal wieder ein Krach zuviel - und ich wurde rausgeworfen. So lief es in dieser Klinik auch in Zukunft ab. Ging es mir schlecht – musste ich rein.

Umgehen konnten die aber mit mir nur brav unter tausend Beruhigungsmitteln. Sobald ich mein eigentliches Ich zeigte, gabs Krach. Ich habe von Ärzten schon Sätze an den Kopf geworfen bekommen, ... das glaubt einem keiner. Ich war in den nächsten Jahren sehr oft in dieser Klinik, weil ich im wirklichen Leben nicht klarkam.

Ich war so depressiv, dass ich nur im Bett lag. Die Kochtöpfe verschimmelten im Schrank. Mir war alles egal. In dieser Zeit weiß ich nicht, wie  ich ohne Frau Geller oder meine Betreuerin vom Betreuten Wohnen überlebt hätte. Wahrscheinlich hätte ich so oft versucht mich umzubringen bis es geklappt hätte.

Langzeittherapien in anderen Kliniken halfen Stück für Stück. Es gibt auch sehr gute Kliniken, die einem wirklich helfen können. Dennoch war es eine sehr harte Zeit.

Frau Geller wusste von Anfang an mit mir umzugehen. „Wenn sie Mist bauen, sagen sie es gleich, aber lügen sie mich nicht an, da werd ich sauer!“ Das war eine klare Ansage. Ich wußte, ich würde keinen Ärger bekommen, wenn ich die Wahrheit sagte. Das war etwas ganz Neues. Oft brachte ich Menschen in meinem Umfeld an die Decke, wenn ich die Wahrheit sagte. Also hatte ich mir angewöhnt, das zu sagen, was die Leute hören wollten und dann – kaum außer Sichtweite etwas ganz anderes zu tun. Ich mochte das nicht, ich wollte das nicht. Aber es ging leider nicht anders.

Jetzt schon. Und das war toll! Ich wurde angenommen wie ich war und musste nicht mehr lügen. Genauso im Betreuten Wohnen. Ich wusste genau, was meine Probleme waren, ich wusste auch genau, wenn ich wieder Mist gebaut hatte, aber ich war einfach so impulsiv, dass es mir erst hinterher auffiel.

Am Anfang wurde fast alles für mich übernommen, bzw. ich bei jedem kleinsten Bisschen begleitet. Zu nichts war ich alleine fähig, wenn es sich nicht gerade um Partys handelte. Ich mußte mich nicht mehr von Ämtern abwimmeln lassen, Frau Geller übernahm das und war im Gegensatz zu mir auch erfolgreich.

Ich hatte jetzt eine Wohnung und Geld, mit dem man überleben konnte. Das schönste Leben hat man mit Hartz IV und tausenden Euro Schulden, die langsam abgebaut werden müssen, nicht. Am Anfang kam ich mir bettelarm vor. Zweimal wöchentlich wurde mir das Geld eingeteilt. Länger als 2-3 Tage hielt kein Betrag, egal wie viel Geld ich hatte. Natürlich kann man mit so einem Einkommen keine großen Sprünge machen. 50 Euro die Woche sind verdammt knapp. Aber irgendwann fiel mir auf, dass die Abstände, in denen ich kein Geld hatte, immer kleiner wurden. Das war doch besser, als 300 Euro auf einmal auszugeben und den Rest des Monats nichts zu essen zu haben. Essen hatte ich sowieso. Eine sehr gute Regelung vom Betreuten Wohnen war es, alle zwei Wochen mit mir einkaufen zu fahren. Dafür gab es einen festen Betrag, der nichts mit meinem wöchentlichen Geld zu tun hatte. So lernte ich richtig einzukaufen und hatte immer zu essen, egal, was ich mit meinem Geld die Woche über anstellte. Richtig mit Geld umzugehen lernte ich allerdings in meiner ersten richtigen Beziehung. Mein damaliger Freund bekam sein Leben genauso wenig gebacken wie ich, bevor ich meine gesetzliche Betreuerin und das Betreute Wohnen hatte.

Er bekam kein Geld vom Amt und hatte keine Wohnung. Er wohnte bei mir und ich unterhielt ihn von meinem Geld mit. Wir hatten noch Hilfe von Freunden, die mal ein Päckchen Tabak, Kaffee oder auch Nudeln mitbrachten, aber größtenteils waren wir auf mich angewiesen.

Ich lernte ihn in der Drogentherapie kennen, versuchte gerade clean zu werden. Mit ihm – kein Erfolg. Dafür hatte er täglich den Kopf viel zu voll mit allem Möglichen. Dennoch gab ich mir größte Mühe. Ging regelmäßig in Selbsthilfegruppen und zur ambulanten Therapie. Außerdem machte ich gerade eine berufliche Integrationsmassnahme. Für mich – ein Erfolg. Anschließend hatte ich zwar immer noch keinen Job, aber übte mit 1-Euro-Jobs das Arbeiten so lange, bis es klappte. Täglich erscheinen, weniger Fehltage, möglichst pünktlich erscheinen. Gerade letzteres war nicht so einfach. Dort betätigte ich mich das erste Mal künstlerisch und bemerkte, dass ich garnicht so unkreativ war, wie ich dachte.

In der Tagesklinik ließ ich mich auf ADS testen – und hatte recht. Dort wurde ich auch auf Medikamente eingestellt. Schlagartig änderte sich mein Leben um 180 Grad. Meine Wohnung war aufgeräumt, ich konnte mich konzentrieren, kam morgens aus dem Bett und obwohl ich mich meiner Meinung nach genauso anderen Menschen gegenüber verhielt wie vorher auch, hatte ich kaum noch Krach mit Leuten. Sie reagierten plötzlich anders auf mich. Ich war viel strukturierter im Kopf und weniger impulsiv. Doch nach ein paar Wochen das böse Erwachen: die Krankenkasse bezahlte meine Medikamente nicht und ich mußte sie wieder absetzen. 300 Euro im Monat hatte ich leider nicht. Ich gab mir größte Mühe, was ich mit den Medikamenten gelernt hatte, beizubehalten, doch es klappte nicht so gut.... Rasch sah meine Wohnung wieder wie nach einem Bombeneinschlag aus... Die Nachbarn meckerten über meine wilden Partys und nachdem meine Beziehung kaputtgegangen war, hielt auch keine neue. Männer kamen und gingen. Jobs kamen und gingen.

Meine Cleanzeiten wurden länger. Die Phasen, in denen ich mich nicht selbst verletzte, auch. Stück für Stück wurde alles immer besser. Rückschläge und Rückfälle gab es einige. Aber ich habe nie aufgegeben und Frau Geller und meine Betreuerin vom Betreuten Wohnen mich auch nicht.

Irgendwann nach harter Arbeit durfte ich eine überbetriebliche Ausbildung beginnen. Zunächst eine erneute berufliche Vorbereitungsmaßnahme. Ausbildungsfähig war ich nicht. Dann hatte ich einen der ersten Termine bei der Neurologin, die ins Haus kam. Es stellte sich heraus, dass ich zwar das Medikament gegen ADS nach wie vor bezahlen musste, aber dass der Preis stark gesunken und auf einem gerade schaffbaren Level lag. Seitdem bin ich ausbildungsfähig.

Habe wieder einen großen Sprung gemacht und meine Ausbildung zur Mediengestalterin begonnen. Ich kann mich konzentrieren, schreibe gute Noten und bin nicht mehr so impulsiv. Bald habe ich die Zwischenprüfung – Ich habe eine Ausbildung zur Mediengestalterin angefangen und Spaß an meinem Job. Meine Noten sind gut und abgesehen von stimmungsmäßigen Ups und Downs geht's mir ziemlich gut.

Seit anderthalb Jahren habe ich einen festen Freund, der zu mir hält und den ich sehr liebe. Ungünstige Kontakte an meinem Wohnort habe ich zugunsten alter Freunde aufgegeben. Meine Drogenleute von damals haben entweder Familie, das sind die wenigsten, die es geschafft haben.
Die anderen sind entweder im Knast, auf  Heroin oder tot.

Ich bin dabei, meine eigene Selbsthilfegruppe aufzumachen. 2 Jahre bin ich clean.

Mein Geld wird mir mittlerweile nicht mehr über die Kasse an der überbetrieblichen Einrichtung, in der ich die Ausbildung mache, eingeteilt, sondern ich durfte mir ein eigenes Taschengeldkonto hier am Ort einrichten. Es klappt gut. So bin ich flexibler und nicht mehr so abhängig von den Öffnungszeiten der Kasse. Auch spontane Pizza-Essen sind möglich. Ich bin viel freier. Und meistens habe ich gegen Monatsende erst mein Geld verbraucht. Ein weiterer großer Fortschritt. Ich wohne in einer Außenwohngruppe, die dem Internat angeschlossen ist. Erst letzte Woche meinte meine AWG-Betreuerin: „Bei dir ist es immer so gemütlich und ordentlich, du machst wenigstens was aus deinem Zimmer“..... okay, zugegeben, ich habe auch keine Lust, mich ständig ermahnen zu lassen und räume auf, bevor sie kommen. Aber früher hätte das garnicht funktioniert. Da war mir der Zustand des Zimmers egal - ich hatte keinerlei Motivation und Kraft etwas daran zu ändern.

Betreuung brauche ich schon noch..... Wenn ich eine Rechnung sehe, habe ich keine Ahnung, wie sie sich zusammensetzt, aber auch daran arbeite ich. Mein Freund erklärt sie mir dann. Das ist das nächste Ziel. Papierkram und Geld auf die Reihe bringen. Mit Papier hab ichs leider gar nicht. Was möglich ist, mache ich online. Dateien und Ordner gehen nicht so schnell verloren wie Briefe. Immerhin sammel ich sie schon mal an einem Ort. Allerdings tummeln sich unter den wichtigen Unterlagen Schulsachen, Zeitschriften, persönliche Briefe usw. Müßte das alles mal sotieren oder ablegen.

Außerdem hätte ich gerne einen Führerschein und ein Auto. Aber alles zu seiner Zeit. Die letzten Jahre war es wichtiger zu einem lebenswerten Leben zu kommen. Psychisch auf die Reihe zu kommen und arbeitsfähig zu werden. Die Grundsteine sind gesetzt, die Mauern gezogen, die Details kommen nach und nach.

7 Jahre- eine lange Zeit. Mich blockiert oder mir im Weg gestanden hat Frau Geller mir dabei fast nie. Ich habe aber auch von Anfang an viel akzeptiert und mitgearbeitet. Ich wollte Hilfe. Klar war ich z.B. frustriert, als mein Telefon wieder abgeldet wurde, weil drei Monate lang, die Rechnung irrsinnig hoch war. Aber ich wusste auch, dass ich nur neue Schulden damit produzieren würde. Heute bin ich schuldenfrei.

Gerade habe ich eine neue ambulante Therapie angefangen und bin dabei, meine Vergangenheit aufzuarbeiten. Damit mich die Vergangenheit nicht mehr einholen und mein Leben zerstören kann. Denn genau das ist es  endlich - ein Leben!



„Hallo Frau Geller, ich bin fertig mit dem Text. ....es ist kein Verriss geworden ;-)
Ich habe nichts beschönigt. ..... Sie waren da, selbst als alle anderen, die es hätten sein sollen, weg waren.“

                                                                                                                                                           Anne
Ich glaube, es war gut, dass ich Frau Geller bekam, bevor ich die ganzen Vorurteile über gesetzliche Betreuer kannte. Sonst hätte ich vielleicht garnicht zugestimmt. Bei meinem ersten Klinikaufenthalt wurde ich gefragt, ob ich das möchte, sie würden es für eine gute Idee halten. Und ich sage bis heute: Es war eine prima Idee.

Bevor ich in die Klinik kam, war ich gerade obdachlos geworden. Der Freund meiner Mutter hatte mich nach dem tausendsten Krach daheim rausgeworfen. Ich hatte Depressionen, lag in einer billigen Absteige in einem mini Zimmer rum, in das mich das Ordnungsamt eingewiesen hatte, und hatte versucht, mich einweisen zu lassen. Ohne Erfolg. Kein Arzt nahm mich ernst. Bis ich es ernst meinte, und mein Leben beenden wollte. Das war kein Hilferuf. Ich wollte nicht mehr.

Wollte nicht mehr auf der Straße um Geld betteln, um mir was zu essen zu kaufen, wollte nicht mehr mit tausend Männer flirten, damit sie mir den Abend finanzierten, wollte nicht mehr einsam sein, wollte nicht mehr versuchen zu arbeiten, was ich ja doch nicht schaffte.

Ich bekam damals zwar Ausbildungsvergütung, aber die reichte erstens hinten und vorne nicht und zweitens war sie nach 3 Tagen sowieso alle. Was ich mit dem ganzen Geld machte, wusste ich hinterher noch nicht mal. Hatte keine Vorräte gekauft, hatte keine Zigaretten, hatte nichts zu trinken. Mit Glück hatte ich vielleicht eins zwei Oberteile gekauft. Die Prepaidkarte war sowieso schneller leer, als ich  schauen konnte, weil ich ja irgendwie noch Kontakt zu meinen Freunden halten wollte. Ich war total verschuldet, weil ich Handyverträge abgeschlossen und den Überblick über die Telefonkosten verloren hatte. Außerdem hatte einer meiner Exfreunde Internetbetrug auf meinen Namen gemacht und ich hatte die Anwaltskosten, um mich da wieder rauszuwinden.

Bevor es zum großen Krach daheim kam, hatte ich versucht, auf Ämtern Gelder zu bekommen um auszuziehen, wurde dort aber immer nur abgewimmelt.

Das einzige, was mir am Leben noch Spaß machte, waren die Wochenenden, die ich im Vollsuff oder im Drogenrausch verbrachte. Einfach wegbeamen und endlich mal glücklich sein, war die Devise.

Jetzt nahm man mich ernst. Im Rettungswagen liegend und in eine Brechschale spuckend. 120 Tabletten brauchen lande, bis sie draußen sind. Ich wurde postwendend nach dem Krankenhaus in die nächste Klinik eingewiesen. Dort kam ich mir ernstmal verstanden vor und langsam ging es mir auch wieder besser. Sogar einen Freund habe ich gefunden! Okay, er war 17 Jahre älter, aber wen interessierte das schon? Doch meine zugegebenermaßen etwas unkonventionelle Art, stieß auch hier auf Granit. Die Ärzte und Schwestern interessierte es sehr wohl, dass ich einen Partner gefunden hatte. Sie waren garnicht einverstanden und begannen, mich unter Druck zu setzen. Keine gute Idee bei mir. Bei Druck mache ich dicht.Sie meinten wohl, mit ein wenig Druck wäre mein Bereich im Zimmer ordentlicher, würde ich nicht mehr verschlafen und pünktlich zu den Therapien erscheinen. Ein Hinweis von mir, sie könnten ja mal nach ADS von mir schauen blieb ungehört.

Übrigens: ich hatte schnell herausgefunden, dass meine abendliche Schlaftablette in Kombination mit Koffein eine äußerst berauschende Wirkung hatte. Das merkte aber keiner, zumindest bin ich nie darauf angesprochen worden. Dennoch – mal wieder ein Krach zuviel - und ich wurde rausgeworfen. So lief es in dieser Klinik auch in Zukunft ab. Ging es mir schlecht – musste ich rein.

Umgehen konnten die aber mit mir nur brav unter tausend Beruhigungsmitteln. Sobald ich mein eigentliches Ich zeigte, gabs Krach. Ich habe von Ärzten schon Sätze an den Kopf geworfen bekommen, ... das glaubt einem keiner. Ich war in den nächsten Jahren sehr oft in dieser Klinik, weil ich im wirklichen Leben nicht klarkam.

Ich war so depressiv, dass ich nur im Bett lag. Die Kochtöpfe verschimmelten im Schrank. Mir war alles egal. In dieser Zeit weiß ich nicht, wie  ich ohne Frau Geller oder meine Betreuerin vom Betreuten Wohnen überlebt hätte. Wahrscheinlich hätte ich so oft versucht mich umzubringen bis es geklappt hätte.

Langzeittherapien in anderen Kliniken halfen Stück für Stück. Es gibt auch sehr gute Kliniken, die einem wirklich helfen können. Dennoch war es eine sehr harte Zeit.

Frau Geller wusste von Anfang an mit mir umzugehen. „Wenn sie Mist bauen, sagen sie es gleich, aber lügen sie mich nicht an, da werd ich sauer!“ Das war eine klare Ansage. Ich wußte, ich würde keinen Ärger bekommen, wenn ich die Wahrheit sagte. Das war etwas ganz Neues. Oft brachte ich Menschen in meinem Umfeld an die Decke, wenn ich die Wahrheit sagte. Also hatte ich mir angewöhnt, das zu sagen, was die Leute hören wollten und dann – kaum außer Sichtweite etwas ganz anderes zu tun. Ich mochte das nicht, ich wollte das nicht. Aber es ging leider nicht anders.

Jetzt schon. Und das war toll! Ich wurde angenommen wie ich war und musste nicht mehr lügen. Genauso im Betreuten Wohnen. Ich wusste genau, was meine Probleme waren, ich wusste auch genau, wenn ich wieder Mist gebaut hatte, aber ich war einfach so impulsiv, dass es mir erst hinterher auffiel.

Am Anfang wurde fast alles für mich übernommen, bzw. ich bei jedem kleinsten Bisschen begleitet. Zu nichts war ich alleine fähig, wenn es sich nicht gerade um Partys handelte. Ich mußte mich nicht mehr von Ämtern abwimmeln lassen, Frau Geller übernahm das und war im Gegensatz zu mir auch erfolgreich.

Ich hatte jetzt eine Wohnung und Geld, mit dem man überleben konnte. Das schönste Leben hat man mit Hartz IV und tausenden Euro Schulden, die langsam abgebaut werden müssen, nicht. Am Anfang kam ich mir bettelarm vor. Zweimal wöchentlich wurde mir das Geld eingeteilt. Länger als 2-3 Tage hielt kein Betrag, egal wie viel Geld ich hatte. Natürlich kann man mit so einem Einkommen keine großen Sprünge machen. 50 Euro die Woche sind verdammt knapp. Aber irgendwann fiel mir auf, dass die Abstände, in denen ich kein Geld hatte, immer kleiner wurden. Das war doch besser, als 300 Euro auf einmal auszugeben und den Rest des Monats nichts zu essen zu haben. Essen hatte ich sowieso. Eine sehr gute Regelung vom Betreuten Wohnen war es, alle zwei Wochen mit mir einkaufen zu fahren. Dafür gab es einen festen Betrag, der nichts mit meinem wöchentlichen Geld zu tun hatte. So lernte ich richtig einzukaufen und hatte immer zu essen, egal, was ich mit meinem Geld die Woche über anstellte. Richtig mit Geld umzugehen lernte ich allerdings in meiner ersten richtigen Beziehung. Mein damaliger Freund bekam sein Leben genauso wenig gebacken wie ich, bevor ich meine gesetzliche Betreuerin und das Betreute Wohnen hatte.

Er bekam kein Geld vom Amt und hatte keine Wohnung. Er wohnte bei mir und ich unterhielt ihn von meinem Geld mit. Wir hatten noch Hilfe von Freunden, die mal ein Päckchen Tabak, Kaffee oder auch Nudeln mitbrachten, aber größtenteils waren wir auf mich angewiesen.

Ich lernte ihn in der Drogentherapie kennen, versuchte gerade clean zu werden. Mit ihm – kein Erfolg. Dafür hatte er täglich den Kopf viel zu voll mit allem Möglichen. Dennoch gab ich mir größte Mühe. Ging regelmäßig in Selbsthilfegruppen und zur ambulanten Therapie. Außerdem machte ich gerade eine berufliche Integrationsmassnahme. Für mich – ein Erfolg. Anschließend hatte ich zwar immer noch keinen Job, aber übte mit 1-Euro-Jobs das Arbeiten so lange, bis es klappte. Täglich erscheinen, weniger Fehltage, möglichst pünktlich erscheinen. Gerade letzteres war nicht so einfach. Dort betätigte ich mich das erste Mal künstlerisch und bemerkte, dass ich garnicht so unkreativ war, wie ich dachte.

In der Tagesklinik ließ ich mich auf ADS testen – und hatte recht. Dort wurde ich auch auf Medikamente eingestellt. Schlagartig änderte sich mein Leben um 180 Grad. Meine Wohnung war aufgeräumt, ich konnte mich konzentrieren, kam morgens aus dem Bett und obwohl ich mich meiner Meinung nach genauso anderen Menschen gegenüber verhielt wie vorher auch, hatte ich kaum noch Krach mit Leuten. Sie reagierten plötzlich anders auf mich. Ich war viel strukturierter im Kopf und weniger impulsiv. Doch nach ein paar Wochen das böse Erwachen: die Krankenkasse bezahlte meine Medikamente nicht und ich mußte sie wieder absetzen. 300 Euro im Monat hatte ich leider nicht. Ich gab mir größte Mühe, was ich mit den Medikamenten gelernt hatte, beizubehalten, doch es klappte nicht so gut.... Rasch sah meine Wohnung wieder wie nach einem Bombeneinschlag aus... Die Nachbarn meckerten über meine wilden Partys und nachdem meine Beziehung kaputtgegangen war, hielt auch keine neue. Männer kamen und gingen. Jobs kamen und gingen.

Meine Cleanzeiten wurden länger. Die Phasen, in denen ich mich nicht selbst verletzte, auch. Stück für Stück wurde alles immer besser. Rückschläge und Rückfälle gab es einige. Aber ich habe nie aufgegeben und Frau Geller und meine Betreuerin vom Betreuten Wohnen mich auch nicht.

Irgendwann nach harter Arbeit durfte ich eine überbetriebliche Ausbildung beginnen. Zunächst eine erneute berufliche Vorbereitungsmaßnahme. Ausbildungsfähig war ich nicht. Dann hatte ich einen der ersten Termine bei der Neurologin, die ins Haus kam. Es stellte sich heraus, dass ich zwar das Medikament gegen ADS nach wie vor bezahlen musste, aber dass der Preis stark gesunken und auf einem gerade schaffbaren Level lag. Seitdem bin ich ausbildungsfähig.

Habe wieder einen großen Sprung gemacht und meine Ausbildung zur Mediengestalterin begonnen. Ich kann mich konzentrieren, schreibe gute Noten und bin nicht mehr so impulsiv. Bald habe ich die Zwischenprüfung – Ich habe eine Ausbildung zur Mediengestalterin angefangen und Spaß an meinem Job. Meine Noten sind gut und abgesehen von stimmungsmäßigen Ups und Downs geht's mir ziemlich gut.

Seit anderthalb Jahren habe ich einen festen Freund, der zu mir hält und den ich sehr liebe. Ungünstige Kontakte an meinem Wohnort habe ich zugunsten alter Freunde aufgegeben. Meine Drogenleute von damals haben entweder Familie, das sind die wenigsten, die es geschafft haben.
Die anderen sind entweder im Knast, auf  Heroin oder tot.

Ich bin dabei, meine eigene Selbsthilfegruppe aufzumachen. 2 Jahre bin ich clean.

Mein Geld wird mir mittlerweile nicht mehr über die Kasse an der überbetrieblichen Einrichtung, in der ich die Ausbildung mache, eingeteilt, sondern ich durfte mir ein eigenes Taschengeldkonto hier am Ort einrichten. Es klappt gut. So bin ich flexibler und nicht mehr so abhängig von den Öffnungszeiten der Kasse. Auch spontane Pizza-Essen sind möglich. Ich bin viel freier. Und meistens habe ich gegen Monatsende erst mein Geld verbraucht. Ein weiterer großer Fortschritt. Ich wohne in einer Außenwohngruppe, die dem Internat angeschlossen ist. Erst letzte Woche meinte meine AWG-Betreuerin: „Bei dir ist es immer so gemütlich und ordentlich, du machst wenigstens was aus deinem Zimmer“..... okay, zugegeben, ich habe auch keine Lust, mich ständig ermahnen zu lassen und räume auf, bevor sie kommen. Aber früher hätte das garnicht funktioniert. Da war mir der Zustand des Zimmers egal - ich hatte keinerlei Motivation und Kraft etwas daran zu ändern.

Betreuung brauche ich schon noch..... Wenn ich eine Rechnung sehe, habe ich keine Ahnung, wie sie sich zusammensetzt, aber auch daran arbeite ich. Mein Freund erklärt sie mir dann. Das ist das nächste Ziel. Papierkram und Geld auf die Reihe bringen. Mit Papier hab ichs leider gar nicht. Was möglich ist, mache ich online. Dateien und Ordner gehen nicht so schnell verloren wie Briefe. Immerhin sammel ich sie schon mal an einem Ort. Allerdings tummeln sich unter den wichtigen Unterlagen Schulsachen, Zeitschriften, persönliche Briefe usw. Müßte das alles mal sotieren oder ablegen.

Außerdem hätte ich gerne einen Führerschein und ein Auto. Aber alles zu seiner Zeit. Die letzten Jahre war es wichtiger zu einem lebenswerten Leben zu kommen. Psychisch auf die Reihe zu kommen und arbeitsfähig zu werden. Die Grundsteine sind gesetzt, die Mauern gezogen, die Details kommen nach und nach.

7 Jahre- eine lange Zeit. Mich blockiert oder mir im Weg gestanden hat Frau Geller mir dabei fast nie. Ich habe aber auch von Anfang an viel akzeptiert und mitgearbeitet. Ich wollte Hilfe. Klar war ich z.B. frustriert, als mein Telefon wieder abgeldet wurde, weil drei Monate lang, die Rechnung irrsinnig hoch war. Aber ich wusste auch, dass ich nur neue Schulden damit produzieren würde. Heute bin ich schuldenfrei.

Gerade habe ich eine neue ambulante Therapie angefangen und bin dabei, meine Vergangenheit aufzuarbeiten. Damit mich die Vergangenheit nicht mehr einholen und mein Leben zerstören kann. Denn genau das ist es  endlich - ein Leben!



„Hallo Frau Geller, ich bin fertig mit dem Text. ....es ist kein Verriss geworden ;-)
Ich habe nichts beschönigt. ..... Sie waren da, selbst als alle anderen, die es hätten sein sollen, weg waren.“

                                                                                                                                                           Anne